Veröffentlichungsdatum:
31 März 2022
Holz ist Holz. Was Holzbildhauer aus dem wertvollen Naturstoff machen, das ist Kunst. Beim Europäischen Gestaltungswettbewerb für Holzbildhauer zeigten 50 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa ihre Werke. Das Thema „Neugierig auf morgen“ könnte nicht aktueller sein.
Als Rudi Bannwarth 2021 seine Holzarbeit für den Europäischen Gestaltungspreis für Holzbildhauer fertigstellt, mag er an die pandemiegebeutelte Jugend gedacht haben. Jetzt, 2022, bekommt das Werk des Preisträgers einen brisanten Dreh. Ein junges Mädchen, das sich in der Entwicklung zur Frau befindet, steht aufrecht mit klarem Blick in lässiger Pose mit Jeans und Sneaker vor einem knallgelben Sonnenball. Ihre linke Hand, die sie zum „Peace“-Zeichen hebt – ein elektrisierender Moment. „Das Werk trifft unglaublich gut die Stimmung eines jungen Mädchens auf der Schwelle zum Erwachsenwerden“, zitiert Landesinnungsmeister der Landesinnung der Holzbildhauer Baden-Württemberg Martin Schonhardt bei der Preisverleihung das Resümee der Jury. Der erste Preis des diesjährigen Wettbewerbs proklamiert aber gleichzeitig auch einen wünschenswerten Soll-Zustand. „Ich bin bereit! Morgen kann kommen“ – das ist die Message, die das Mädchen in die Welt trägt. Die Welt kann es brauchen.
Alle drei Jahre findet der Wettbewerb statt. Mehr als 80 Künstler aus Deutschland, Österreich, Italien, Bulgarien und Litauen hatten sich in diesem Jahr beworben. Zwischen den beiden Wettbewerben 2019 und 2022 liegt eine Pandemie, die die Welt aus den Angeln hob. Umso aktueller der Wettbewerbsfokus unter dem Titel „Neugierig auf morgen“.
Hoffnung auf ein dauerhaftes Gleichgewicht
Wie viel Zuversicht von der wenig lebensbejahenden Farbe Schwarz ausgehen kann, zeigt die
makellos glänzende Arbeit von Daniela Schwarz (Klipphausen), die mit einer finalen Hartwachsschicht überzogen wurde. Das scheint auch der Jury gefallen zu haben. „Von einer kraftvoll emporstrebenden Basis mit Hilfe von unterschiedlichen Windungen, Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme können vorhandene Ungleichgewichte ausgeglichen werden und ein stabiles und dauerhaftes Gleichgewicht kann wieder einkehren“, so das Statement der Holz- und Steinbildhauerin, die den 2. Preis bekam.
Das Mädchen „Frieda“, aus dem Holz einer mehrere hundert Jahre alten Mooreiche gefertigt, steht im Badeanzug mit geschlossenen Augen da und verschmilzt in einem kontemplativen Moment mit ihrem hölzernen Schwimmring. Die Arbeit von Maria Boldt-Schwarz bekam den dritten Preis. Neben den drei Profi-Preisen wurden ebenfalls drei Nachwuchspreise verliehen.
„Bei aller Neugier auf das Morgen sollte man das Gestern nicht vergessen“, sagt Danny Reinhold (Lichtenstein), dessen Arbeit aus einer 100-jährigen Eiche geschnitzt wurde. Ein Kuss erweckt den Kopf von Isa Schieche (Wien) zum Leben und wird so gleichzeitig zum Instrument. Eine augenzwinkernde Anregung, regionale und saisonale Produkte zu konsumieren, gibt der „Gemüsekopf“ von Paul Schneider (Platz 2 Nachwuchspreis), der saftig-grünen Lauch und Fenchel in einer Art Fascinator extravagant auf einem Kopf arrangiert.
Speer und Astronautenhelm, wie passt das zusammen? Hannes Mussner (erster Nachwuchspreis für „Es wurde Licht“) setzt sich mit seiner speertragenden Holzfigur mit futuristischem Kopfschutz auf diese Weise mit Vergangenheit und den großen Fragen der Zukunft auseinander.
„Optische und handwerkliche Leckerbissen“
Als “optischen und handwerklichen Leckerbissen“ pries Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder die Ausstellung bei der Eröffnung im Karlsruher Regierungspräsidium an, die den Künstlerinnen und Künstlern gute Publicity für ihre Arbeit bietet. Die können sie auch gut gebrauchen, denn das achttausend Jahre alte Handwerk verschwindet als Berufszweig mehr und mehr. „Neugierig auf morgen“ – das ist im Kontext der Arbeiten ein positiver Blick in die Zukunft des Handwerks. Darüber hinaus „trägt der Gestaltungspreis dazu bei, die Wertschätzung für den nachwachsenden Rohstoff Holz zu steigern“, so Dr. Patrick Rapp, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg bei seiner Laudatio.
„Ein Wettbewerb wie der Europäische Gestaltungspreis ist für das Handwerk insgesamt von großer Bedeutung“, betont er. „Kreativität und Individualität bei der Produktgestaltung sind nicht nur in der Holzbildhauerei wichtig – sie sind in zahlreichen Handwerksbranchen zentrale Erfolgsfaktoren, um auch künftig wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Nofretete als Shopping-Queen, ein hölzernes Tassenorakel oder ein winkender Raketenmann. Nachdenkliches, Optimistisches, Ästhetisches. Ungewissheit, Zuversicht und Zukunftsträumereien. Suchende, Findende und Hoffende. Künstliche Intelligenz, Klimawandel oder die Hoffnung auf eine gute Zukunft. Eine Erkenntnis zieht sich durchgängig durch die ungewöhnlichen Holzarbeiten aus verschiedenen Ecken des Kontinents: Neugier ist ein ideelles Grundgut, von dem man in diesen Zeiten gar nicht genug haben kann.
Zu sehen sind alle 50 Werke des Wettbewerbes „NEUGIERIG AUF MORGEN“ in den Ausstellungsräumen des Regierungspräsidium Karlsruhe noch bis zum 1. Mai 2022. Danach sind die Arbeiten im Museum Schloss Rochsburg in Sachsen sowie in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Brüssel zu sehen.