Veröffentlichungsdatum:
27 Mai 2019
Beim diesjährigen Europäischen Gestaltungswettbewerb der Holzbildhauer treffen Marsmännchen auf die Jungfrau Maria und Hip Hop tanzende Opas auf Tiere, die ihre Spuren im Holz hinterlassen. Virtuos drücken sich 27 Künstler zum Thema „Lebenszeichen“ in Holz aus. Gleichzeitig ist der Wettbewerb ein wichtiges Plädoyer für den Beruf des Holzbildhauers. Denn dieser Beruf ist durchaus lebendig.
Die Werke sind in einer Ausstellung im Regierungspräsidium noch bis zum 30. Juni 2019 zu sehen.
Hauchfein wie Brüsseler Spitzen schmiegt sich das Kleid wie eine zweite Haut ganz eng um den schlanken Frauenkörper. Es scheint regelrecht an ihr zu kleben. Der Körper ist aus dem Holz des Maulbeerbaumes geschnitzt. Ein äußerst ästhetischer Hingucker mit einer markanten Aussage: Wie ein Befreiungsakt wirkt die Geste der Figur, die den zarten Stoff über ihrer Brust zerreißt und entschlossen abstreift wie eine Schlange bei der Häutung. Die Message? Es geht um alte Strukturen, die durch neue ersetzt werden.
Die Skulptur „Transformation“ von Sabine Rauber überbringt eine von vielen interessanten Botschaften, die 27 Bildhauer für den Europäischen Gestaltungswettbewerb für Holzbildhauer in Holz geschnitzt haben. Alte Strukturen durch neue ersetzen, das heißt bei Sabine Rauber: „Ich lebe, ich bin lebendig.“ Passend zum Motto des diesjährigen Wettbewerbes: „Lebenszeichen“.
Was genau ist ein Lebenszeichen? „Hier im Wettbewerb hat es mindestens 27 verschiedene Gesichter“, so die Kunsthistorikern Simone Maria Dietz. Beim genauen Betrachten finden sich unzählige mehr. Da ist zum Beispiel der erhobene Zeigefinger von Barbara Uebel, eine archetypische Geste, die fast keiner weiteren Erklärung bedarf. Oder der Schüler in der Schulbank von Anna Last, der sich gerade mit erhobener Hand zu Wort meldet. Der Titel „Meldepflicht“ weist allerdings weit über das Schulleben hinaus. Meldepflicht reicht in alle Bereiche unseres Lebens und hat mit Einwohnerstatistiken, Asylbewerbern und Krankheitserregern zu tun.
Die Darstellung einer Maria mit dem schlafenden Kind (Kathrin Hubl) gibt ein Lebenszeichen in Form eines religiösen Bekenntnisses ab. Die beklemmende Botschaft von zwei in einer Zelle eingesperrten Häftlingen aus Guantanamo Bay ist eine düstere Version der politischen Zustände unserer Welt. Rudi Bannwarth und Wolfgang Duksch stellen mit ihren Werken die Kinder in den Mittelpunkt des Lebens. Bannwarth geht darüberhinaus mit der Digitalisierung ins Gericht, indem er überall Bildschirme positioniert, die unser Leben zunehmend dominieren. Gehen die Flüchtlinge in ihrem Boot gleich in den Wellen unter oder besteht Aussicht auf Rettung? In der Arbeit von Sigita Laubengaier scheinen sie ein letztes verzweifeltes Lebenszeichen zu senden. „Wissen Sie, privat höre ich Hip Hop“ – Karen Löwenstroms Opa führt einen einhändigen Hip Hop-Move vor und sendet damit ein Lebenszeichen voller Lebenskraft.
Der Jury dürfte es nicht leicht gefallen sein, aus den Arbeiten der Künstler und Künstlerinnen (mehr als 50 Prozent der Teilnehmer sind Frauen) aus Deutschland, Österreich und Frankreich zwei Gewinner herauszudeuten. Um Leben, Schmerz, Tod und Wiedergeburt geht es Preisträger Danny Reinhold aus Lichtenstein. Aufwendig zerlegte er einen Eichenholzstamm bis er durchlässig wurde wie eine Zellmembran. Michael Tolloy schuf eine Figur, in der er das Material Holz so bearbeitete, dass sie mit ihrer Bronze-Optik verblüfft. Er erhielt dafür den Anerkennungspreis des Kunstwettbewerbes. Papier ist aus Holz gemacht. Die Künstlerin Mareike Lemke macht Holz wieder zu Papier. Mit der Darstellung eines hauchdünnen geöffneten Briefes appelliert sie an uns alle: „Vergesst das Briefeschreiben nicht!“ Für ihre Arbeit erhielt sie den Ruth-Leibnitz-Preis, der ebenfalls im Rahmen des Europäischen Gestaltungspreises verliehen wird.
„In allen hier ausgestellten Werken ist es immer der Mensch, um den es geht. Der Mensch, der etwas zu sagen hat“, erklärt Simone Maria Dietz, die auch in der Jury mitwirkte. Mit großer Virtuosität und viel handwerklichem Können haben die Künstler ihre ganz persönlichen Lebenszeichen geschaffen. In Eichenholz, aus uraltem Buxbaum, aus Birnbaum, Nussbaum, Linde, Zirbe, Kirsche oder Platane. Sie alle verneigen sich mit ihren Arbeiten vor einem Material, das sich durch unser ganzes Leben zieht.
„Der Gestaltungspreis ist auch ein Lebenszeichen eines uralten Handwerks, denn die älteste Holzskulptur ist über 11.000 Jahre alt“, sagt Katrin Schütz, Staatssekretärin im baden-württembergischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau. bei der Preisverleihung. Der Gestaltungspreis wird alle drei Jahre von der Landesinnung der Holzbildhauer initiiert. Im Regierungspräsidium haben die Werke eine ansprechende Präsenz bekommen. „Das Holzbildhauerhandwerk braucht Publikum und Öffentlichkeit“, so Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder. Aber nicht nur die Kunstwerke und ihre Botschaften wollen gesehen werden. „Das Motto „Lebenszeichen“ haben wir aus gutem Grund gewählt“, so Holzbildhauer und Vorstand der Landesinnung der Holzbildhauer in Baden-Württemberg, Rudi Bannwarth. „Wir Holzbildhauer wollen ein Lebenszeichen in der öffentlichen Wahrnehmung setzen.“ So sollen vor allem Jugendliche darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Verbindung von Handwerk und Kunst im Holzbildhauerberuf durchaus attraktiv ist. Vor rund zehn Jahren wurde in Freiburg das bundesweit einzige Berufskolleg „Holzdesign und Holzbildhauerei“ eingerichtet. Die Friedrich-Weinbrenner-Gewerbeschule bietet kreativen Schülerinnen und Schülern mit einem Mittleren Bildungsabschluss gleich drei Qualifikationen: Es verbindet die handwerkliche Tradition der Holzbildhauerei mit den Anforderungen des modernen Holzdesigns und kombiniert die fachliche Ausbildung mit allgemeinbildendem Unterricht.
„Der Beruf des Holzbildhauers hat eine mehr als achttausendjährige Tradition“, sagt Landesinnungsmeister Martin Schonhardt im Rahmen der Preisverleihung in den Ausstellungsräumen im Regierungspräsidium Karlsruhe. „So groß die Bandbreite an Kunstwerken und so mannigfaltig die Interpretationen des Kunstwettbewerbes sind, gemeinsam haben sie alle eine Absicht: Sie geben dem Beruf des Holzbildhauers Zukunft.“
Zu sehen sind alle 27 Werke des Wettbewerbes „Lebenszeichen“ in den Ausstellungsräumen des Regierungspräsidium Karlsruhe am Rondell noch bis zum 30. Juni 2019. Eintritt frei.